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MORGENMOND - Neue Arbeiten von KP Vellguth

MORGENMOND - Neue Arbeiten von KP Vellguth

MORGENMOND - Neue Arbeiten von KP Vellguth

Meine Damen und Herren,

liebe Freunde,


mir bleibt nichts anderes übrig,als mit Jacques Tati anzufangen. Denn jetzt,im Augenblick des Schreibens,habe ich seine schwarzweißen Bilder im Kopf, Kinobildervon einer alten Kopie derVacances de Monsieur Hulot –von diesen Kinobildern muss ich mich erst befreien,ehe ich zu Klaus-Peter Vellguths Bildern durchdringen kann, um die es hier eigentlich geht.


Dieses Abtragen einer Deckschicht wäre auch sonst notwendig, hätte ich mich mit viel langweiligeren Dingen beschäftigt,die ich jetzt lieber nicht nennen will. Unter dieser Deckschicht haben sich Klaus-Peters Bilder eingenistet,nach und nach. Ein Glück,dass ich sie unter Tatis Film aufbewahren konnte, der zwarso unsäglich verdeutscht war,dass die Abgründigkeit des Films verdeckt blieb, aber das Wesentliche war schon zu sehen,nämlich die Logik der Bilder und eineMehrschichtigkeit selbst der scheinbarharmlosesten Szenenaus einem Vorkriegsfrankreich in der Nachkriegszeit,als hätte der Zweite Weltkriegeigentlich nicht stattgefunden.Dabei drehte Tati die Ferien des Monsieur Hulot bei Saint-Nazaire,dem deutschen U-Boothafen,also in Sichtweite einer Trümmerwüste.Fast alle Orte der französischen Atlantikküstelagen damals noch in Trümmern. Das muss man wissen,um Tatis Erinnerungsbilderrichtig einordnen zu können.


Mehrschichtigkeit -das ist ein Stichwort, mit dem wir gleich etwas anfangen können. Überhaupt enthält der Filmbei näherem Hinsehennoch mehr brauchbare Stichworte.Auch das Meer ist eines,

dieser ganz humorlose feuchte Moloch,vor dessen akustischer KulisseTatis artistische Missgeschicke sich ereignen.Im Mittelpunkt des Films aber steht dieMöglichkeit der Liebe –mit dem Meer als Hinter- und einem Stillebenaus Figuren, die Menschen spielen,im Vordergrund.Bei Tati geht es um die besondere Tücke von angeblich unbelebten Dingen,als empörende und selten befriedigende Routine spielt das Essen bei Tati eine negative Rolle –von Süßigkeiten abgesehen –das ist bei Klaus-Peter Vellguth anders,aber das Abtragen der Deckschicht sollte ja auch nicht als Vergleich missverstanden werden.


Die kleinen Verbrechen,die Monsieur Hulot widerfahren, spielen im Beziehungsfeld

Meer Stilleben Liebe Dinge Erinnerung

Klaus-Peter Vellguth setzt seine Füße immer nah an Abgründe,in die hineinzutappen ungemütlich wäre,

was seine Bilder mit dem Film,der mit ihnen nichts zu tun hat,eben verbindet.


In der auf hundert Bilder angelegten Serie unterschiedlich großer, aber nach der gleichen Spielregel ermittelten Bilderzeigt eines der größten oder vielmehr längsten eine Meeresbrandungals sei es eine Einstellung aus Tatis Film –da gibt es also doch eine Entsprechung –eine schwarzweiße Meeresbrandung, deren Rauschen so anschaulich oder vielmehr eindrücklich ist wie die im Vorspann des Films,wo die Tonspur immer wieder unterbrochen wird,das Meeresrauschen aber ganz sichtbar bleibt,woran sich natürlich nur erinnert,wer den Film gehört hat.Rechts in der Brandung schwimmt ein blaugefaltetes Papierboot, vor einer gelben und rosanen und hellblauenMorgendämmerung wellen fette grüne rote lilagelbe Blumen auf,deren Stiele der vordere Bildrand abschneidet.


Monsieur Hulot, aber damit will ich die Deckschicht meiner Erinnerung ganz abstreifen,kauft sich eine Zeitung und, statt sie zu lesen,faltet sich daraus einen Sonnenhut.Ein andermal fährt er mit dem Faltboot ins Meer,der Boden bricht in der Mitte durch,die beiden Hälften des Bootes klappen zusammen,

dann schwappt ein merkwürdiges Gebiss haiartig im Wasser, von Jacques Tati keine Spur mehr.


Wie verhält es sich mit den Blumen? Immer wieder ergibt sich in Klaus-Peter Vellguths Bildern ein

Blumengewirr (nach Stilleben niederländischer Maler), vor dem Untergrund, der photographisch schwarzweiß durchscheint,aber die Zeichnung, die Malerei siegt.Dann eine Nautilusschale, ein Stück

Meer, schwimmfähig,rote, also gekochte Hummer, Essen, umgekippte Becher – Dinge, Ergebnis einer Szene, die eigentlich reiner Slapstick sein müsste, aber wir wissen das nicht genau,wir erinnern uns, wie

sorgfältig solche Bilder einmal angeordnet wurden,gar nicht zufällig oder im Zusammenstoß von Unvereinbarem.

Klaus-Peter Vellguth schichtet seine Bilder in drei Schritten –

erst das Photo, auf dem Plotter schwarzweiß gedruckt,

dann der Siebdruck,

darüber die Zeichnung oder die Malerei,

Tusche, Aquarell, Acryl.

Photo-, Siebdruck- und Zeichnungsmotive kollidieren oder überlagern einander,aber sie schließen sich nicht aus,ergänzen sich. Manchmal siegt der Siebdruck, ein rotes Raster, das ist unvermeidlich,aber die darunter durchscheinende Muschel bleibt, schwarzweiß und blass, aber sie bleibt sichtbar, wie die Zeichnung, das Stilleben, das gegen die Farbe Rot natürlich nicht ankommt.Es gibt also keine bevorzugte Schicht in dieser Mehrschichtigkeit, das Spiel kann so und so ausgehen.


Immer geht es um die Beziehung von Genuss und Lust und Verzehren und Vergehen,umVergangenes und Gegenwärtiges.Das unterlegte Photo in einigen Bildern zeigt Körperansichten, zwei Busenansätze zum Beispiel, Bauch, Schoß, darauf japanisch Kopulierende, ins Rot gezeichnet,oder nur sie, aber sichtlich im Augenblick der Penetration, eine Nachzeichnung, natürlich gibt es dafür ein Vorbild,

wie für die Blumen- und anderen Stillebenmotive, auf rotem Pinselwisch,überdruckt mit Textilmustern,

ganz raffiniert. Stilleben und Kopulationsszenen beschreiben eigentlich dasselbe,auch die Blüten dienen ja der Fortpflanzung,Essbares dient ebenso dem Genuss wie die füreinander zubereiteten Körper,

Früchte Blumen Hummer Schinken,was wäre erotischer?


All das ist Erinnerung,Erinnerung an Bilder, ja, Stilleben,japanische Zeichnungen,Bauhausphotographie,

Textilkunst – aber Erinnerungbedeutet hier nicht Wiedererkennen von Gelerntem,Anspielung, Bildung,

sondern ein Zurechtlegen der Dinge,ein Wiederfinden von Ungelerntem,zu rasch Vergessenem,

Stummem.Das war das Problem des Jacques Tati. Aber hier muss uns sein Problem nicht weiter beschäftigen. Sein Film war bloß ein Mantel,

in den ich die Bilder Klaus-Peter Vellguths erst verpackt und nun hoffentlich vollständig ausgepackt habe.


Ich danke Ihnen.


Georg H. Hollaender, 7.1.2014 in der Raab Galerie


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