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Hubertus Giebe

Hubertus Giebe

Im Jahr 1983 entsteht das Bild Nachtessen in Dresden von Georg Baselitz, über eine große Maltradition, die die Erinnerung an den Kampf der deutschen Moderne im zwanzigsten Jahrhundert in eindringlicher Weise festhält und in die Gegenwart bringt.

In der Dresdener Tradition steht auch Hubertus Giebe, der dort unter anderen deutschen Voraussetzungen aufwächst, 1961 acht Jahre alt ist, 1968, als die Jugend im Osten wie im Westen protestiert, nicht mehr mit den Füßen abstimmen kann. Er sucht eigene Wege, um seiner Passion und dem künstlerischen Erbe aus Dresden Ausdruck zu geben, findet Rückhalt in Büchern. Er liest Carl Einstein, Benn, Grass, Tarkowskij, die damals in der DDR nicht verlegt werden, treibt Carl Einsteins Kunstgeschichte im Antiquariat in Krakau auf, den verbotenen Nietzsche im Bücherschrank seines Vaters, Camus schmuggelt ihm jemand über die Grenze. Die Meisterwerke im Albertinum und in der Sempergalerie, in der er nach dem Abitur als Hilfskraft arbeitet, bestärken ihn in seiner Gelassenheit, sich Zeit für große Kunstwerke einzuräumen und in der Zuversicht, alles in einem Leben zu erreichen.

1978 erhält er an der Hochschule für Graphik und Buchkunst ein externes Diplom, wird Meisterschüler bei Bernhard Heisig, verbunden mit dem nahegelegten Wunsch, als Assistent an einer Kunsthochschule zu arbeiten, was man durch die Verschulung der damaligen ostdeutschen Akademien als junger Künstler nicht unbedingt gern tat. Eine Dozentur für Malerei wird ihm erst nach acht Jahren zugestanden.1989 hält er auf dem Theaterplatz in Dresden als Sprecher der eigenen Malergeneration eine Rede zur Verteidigung künstlerischer Freiräume, die alle Kennzeichen seiner geistigen Unabhängigkeit trägt. Er ist kein martialischer, sondern ein gradliniger Kämpfer, der Ideologien verachten lernt, den die Suche nach der Wahrheit umtreibt, mit der er wie alle klugen Menschen umsichtig umgeht. So sind seine Bilder keine Zitate, sondern Spiegel widerstreitender Gedanken, für Künstler und Betrachter gleichermaßen, damit das Bild Bestand vor den Gedanken von gestern, heute und morgen habe.

Dafür hat er seine Motive: Gekreuzte Männer - Deutschlandbilder, für Giebe »ungleichzeitig, gleichzeitig, vergangene, wie verzauberte Brüder im Märchen, sich gegenbewegend, gebannt«; Zwerge, Figurinen; Rad und Palette, Kopf und Schädel; seine Heimatstadt Dresden. Als Fotograf bleibt er Maler, wie an Gedichten feilt er an Radierung und Lithographie, in seinen Skulpturen verbindet er Kraft mit Ironie. Kunst, die ihre Aufgabe kennt, daß kein Wissen verloren gehen und keine Zeit ohne gemalte, geheimnisvolle Bilder bleiben darf.



(Ingrid Raab)






ERÖFFNUNGSREDE zur Ausstellungseröffnung »Hubertus Giebe« am 23. Oktober 2001

Ansprache: Prof. Dr. Dr. Gerd Presler, Weingarten bei Karlsruhe


Ganz praktisch und sehr direkt: Worauf sollten Sie und ich, meine Damen und Herren, achten, wenn wir hier in die von Frau Raab den Arbeiten von Hurbertus Giebe - für viele von Ihnen ja weiß Gott nicht zum ersten Mal - gegenüberstehen? Worauf müssen wir, worauf sollten wir unser Hinsehen, unser bewußtes Wahrnehmen richten?


Zum Hintergrund gehört:

Der 1953 bei Dresden geborene Künstler steht schon länger im Interesse der Öffentlichkeit. Spätestens seit seiner Teilnahme an der Biennale in Venedig 1990 - das ist ein Ausweis, das ist der Nachweis einer außergewöhnlichen künstlerischen Gestaltungskraft, vorbehalten den Besten - spätestens seit dem gilt die Sprache von Hubertus Giebe als eine solche, die Aktualität, die augenblickliche, oft brennende Situation wahrnimmt und zugleich als allgemein Menschliche berührt; sie gilt als eine Sprache, die die Zeit benennt - und die Zeiten überwölbt.


Es fällt auf, daß in der Literatur oftmals das Wort »ekstatisch« gebraucht wird. Dieter Hoffmann - er ist hier und Sie können ihn nachher fragen und der leider viel zu früh verstorbene, kluge Berliner Museumsleiter Eberhard Roters tun das. Ekstatisch! Schaut man im Lexikon nach, so findet man:

«Außersichsein, Zustand höchster Verzückung, Entrücktsein«


Lexikonwissen, alles recht! Aber geht es nicht vielleicht doch ein bißchen einfacher? Vielleicht auch ein bißchen weniger psychologisch? Warum verbindet sich die Vorstellung von schöpferischer Arbeit eigentlich so oft mit höchster Aufregung, mit Ausnahmesituation, mit Alltagsferne?


Ist nicht vielleicht doch auch gewachsene Erfahrung, der »Reichtum und die Sinnlichkeit des Handwerks«, so Dieter Hoffmann, und damit ein nüchternes Geschehen anzutreffen?

Rausch und Bewältigung, Scharfsinn und Intuition?


Frau Titia Hoffmeister spricht von »innerer Erregung« und »altmeisterlichem Können«. Das eine zügelt, das andere entlässt.

Und so, in dieser Ausgewogenheit ist es wohl richtig.

Kein Zweifel: Die Gemälde, Zeichnungen und Lithographien von Hubertus Giebe tragen in sich Zeichen eruptiver, expressiver Gestaltung. Zugleich ist dieser Maler ein hunriger Leser, ein nachdenklicher, besorgter Mensch.

Ekstase kann bei ihm nur bedeuten, daß er - ganz wörtlich - aus irgend etwas »heraustritt«, daß er vielleicht zur Seite tritt, um besser, um hinter die Dinge zu schauen. Es gibt ein altes Wissen in der

bildenden Kunst, wonach die bloße Wiedergabe der Wirklichkeit den schöpferischen Menschen einengt. Re-Produktion ist seine Sache nicht. »Nachahmung ist nie Kunst«, schrieb Herwarth Walden hier in Berlin - 1912.


Der schöpferische Mensch reproduziert nicht, er produziert. Er gibt nicht dem Bekannten ein Gesicht; er formt das Unbekannte. Er ruft das Neue herbei. Er gibt »nicht das Sichtbare wieder« wie Paul Klee bemerkte,»er macht sichtbar«.


Der schöpferische Mensch zeichnet nicht ab. Er findet neue Zeichen. Kirchner nannte sie Hieroglyphe, heilige Gravur. Solches Tun vollzieht sich unter Opfern. Freiheit bedeutet viel in einem Land, das, wie die ehemalige DDR, dem Künstler eine festumrissene Aufgabe, eine Doktrin, zuwies. Hubertus Giebe konnte das nicht. Er hat seine Kunst nicht auf dem Altar der Anpassung geopfert. Unvergessen seine Ansprache am 19. November 1989. Dieser Künstler hat den Weg unüberwachter Gestaltung gefunden. Auch in diesem Sinne

»trat er heraus«. Ekstase als Akt des Ungehorsams, Ekstase als Akt der Verweigerung. Der gehorsame Künstler: Nein niemals.

Der die Gebote und Verbote souverän abweisende, in diesem Sinne ekstatische Künstler: Ja, meine Damen und Herren, zweimal ja.


Sie haben gemerkt, daß ich ein griechisches Wort hin und her gewandt habe. Und Sie haben bemerkt, daß dieses Heraustreten etwas zu tun hat mit dem Mut, souverän eigene Wege zu gehen. Alle

totalitären Systeme versuchen, die Künstler auf Kurs zu trimmen, auf das Festgelegte zu vereidigen. Die besseren sind entwichen. Wenn bildende Kunst nicht tun kann, was sie muß, verliert sie - alles.

Es geht um Gestaltung, nicht um Dekoration. Es geht um Haltung, um eine Entscheidung, die »zu Bild« geworden ist - klug, vielleicht kühn, sicher ehrlich, jedenfalls unangepaßt und darin schön.

Dieter Hoffmann sprach mit Blick auf Hubertus Giebe von einer spezifischen Palette«. Ich denke, daß wir uns einsehen müssen in die Wucht der Farben, die man auch als »schrill« empfinden kann.

Aber bitte, das kann Ihnen und mir nicht schwer fallen. Hubertus Giebe lebt und arbeitet in Dresden.

Erinnern Sie sich: Die Stadt Dresden hat den »Brücke«-Expressionismus hervorgebracht, damals - so in allen

Rezensionen - eine Beleidigung für die Augen. Heute ein Fest. Es wird gerade in aller größtem Maßstab gefeiert.



Wenn wir nun schon, meine Damen und Herren, vor den Werken von Hubertus Giebe nachdenklich geworden sind, dann lassen Sie uns doch einfach noch einen kleinen, mutigen Schritt der Annäherung tun. Die Malweise! Die Malweise der Bilder ist mit den Worten furios, ungestüm beschrieben worden. Diese Beobachtung ist richtig. Hier unterzieht einer das gestalterische Geschehen seiner ganz persönlichen Gangart. Hier spricht ein Maler - und er spricht nicht nur über den Inhalt, das »WAS«, nein, seine Sprache ertönt ebenso im »WIE«. Wuchtig wird die Farbe aufgetragen, pastos, in ausgreifender Geste. Das Bild stellt nicht nur dar. Es zeigt auch die Spuren seines Entstehens am Leibe, es trägt und bewahrt die heiße

Phase seiner Geburt. Was und Wie bedingen sich, treiben sich an. Man sieht den Maler vor der Leinwand, am Lithostein, an der Kamera, wie er formt, wie der Bleistift, die Farbkreide über das Skizzenbuchblatt gleiten, eilen.


Meine Damen und Herren, wenn Sie gleich näher vor die Bilder von Hubertus Giebe treten, bitte, achten Sie auf folgendes: Diese Arbeiten haben Anteil an einer ersten Wirklichkeit. Männer, Frauen, Gesichter, Körper, Menschen. Und sie, die Bilder, haben Anteil an einer zweiten Wirklichkeit:

Ausbruch aus der nur abbildenden Wiedergabe in Wahrnehmung einer größeren Freiheit. Ordnung - das wissen wir aus der Physik - ist letztes Stadium, Stillstand, Tod, Chaos, das ist Tasten, das ist Ahnen, Hören, Spielen. Chaos ist Anfang, Geburt, Entwicklung. Singen wir ein Lied auf das Chaos. Meine Damen und Herren, es ist

ein gutes Lied.

In der Malerei, in der Bildhauerei, der Musik, der Architektur geht es letztlich um ein neues Alphabet, um einen bisher ungehörten Klang. Wird er gefunden, ausgesprochen, niedergelegt, zu Leinwand, zu Papier gebracht in den Arbeiten von Hubertus Giebe? Erklingt er, der ungehörte Klang in seinen Gemälden, Zeichnungen, Lithographien, Skulpturen, Photographien? Der schöpferische Akt als chaotische Zerreißprobe des Anfangs. Wird er hier gewagt?



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